Eine Rezension zum Buch „Albert Schweitzer als homo politicus“ von Thomas Suermann
Wenn Albert Schweitzer an einer Pfütze vorbeiging, in der ein Insekt ums Überleben kämpfte, dann hielt er an, um das hilflose Tier zu retten – das sagt zumindest die Legende. Dieses Bild des Philosophen, Theologen und Tropenarztes möchte der Münsteraner Missionswissenschaftler Thomas Suermann um eine weitere Facette ergänzen – um eine politische und damit eine, die nach Auffassung des Autors trotz der Vielzahl an Schriften zum Leben und Wirken des Friedensnobelpreisträgers bisher zu kurz gekommen ist.
Den „Homo Politicus“ Albert Schweitzer versteht Suermann in seiner Dissertation als Gegensatz zum „Homo Oeconomicus“, den lediglich sein eigenes Wohlergehen interessiert. Der Autor fragt, welche Denkanstöße Schweitzer formulierte und welche Handlungsempfehlungen sich daraus ableiten lassen. Er wertet persönliche Briefwechsel Schweitzers aus und untersucht bisher unveröffentlichte Primärquellen, was die Arbeit zu einem wertvollen Beitrag zur Schweitzer-Forschung werden lässt.
Suermanns zentraler Bezugspunkt ist Schweitzers Ethik der „Ehrfurcht vor dem Leben“, die er als Vorwegnahme des Prinzips der Nachhaltigkeit versteht. Da der Mensch Teil des Lebens sei, gehöre die Erhaltung der Welt „zwingend zu seiner Aufgabe“ (483). Deutlich werde dies daran, dass Schweitzer das Recht auf Leben nicht allein für den Menschen geltend mache, sondern auch für Tiere und Pflanzen. Das Nachhaltigkeitsprinzip komme bei Schweitzer in mehreren Themenfelder zum Ausdruck – etwa in der Entwicklungspolitik, wenn er Bedingungen fordert, die es den Entwicklungsländern ermöglichen, sich gegenüber den Industrienationen zu behaupten. Vor allem aber in der Friedenspolitik habe der Atomwaffengegner Schweitzer Maßstäbe gesetzt. Seine Ethik wende sich jedoch an das Individuum und formuliere keine konkreten Handlungsmaximen für Staaten und Regierungen.
Suermanns Arbeit ist über weite Strecken eine Aneinanderreihung von Quellen, die durch kurze Kommentare des Autors miteinander verbunden werden. Hätte er die wesentlichen Gedanken in eigenen Worten wiedergegeben, hätte die fast 600-Seiten-starke Dissertation um die Hälfte kürzer ausfallen können – ohne an Qualität einzubüßen.
Thomas Suermann: Albert Schweitzer als „homo politicus“. Eine biographische Studie zum politischen Denken und Handeln des Friedensnobelpreisträgers, Berliner Wissenschafts-Verlag 2012, 569 S.; 59,- €, ISBN 978-3-8305-3031-2.