Lehren aus dem Terrorangriff und die „geistige Brandstiftung“
Der schreckliche Terrorangriff von Halle wird noch lange in Erinnerung bleiben – und politische Folgen nach sich ziehen. Die Diskussion und die Aufarbeitung des Geschehens werden noch Wochen und Monate andauern. Jedoch lassen sich bereits jetzt einige Schlüsse aus dem Geschehen ziehen:
- Die Schutzmaßnahmen für jüdische Gemeinden in Deutschland sind
lebensnotwendig und waren in Halle nicht ausreichend. Daher sollte jede
Kommune prüfen, ob eine Verstärkung der derzeitigen Maßnahmen geboten
ist. Der Schutz jüdischen Lebens in Deutschland ist keine
Sonderbehandlung, sondern er geht einher mit dem Schutz unserer gesamten
Rechts- und Werteordnung. Sie muss gewährleisten, dass in diesem Land
jeder seinem Glauben nachgehen kann, ohne dabei in permanenter Angst zu
leben. Dafür ist kein Preis zu hoch.
- Die rigiden
deutschen Waffengesetze sowie ihre behördliche Durchsetzung haben im
Fall Halle sehr wahrscheinlich Schlimmeres verhindert. Der Täter hat
einen Großteil der Tathandlungen mit selbstgebauten Waffen und
Sprengkörpern verübt, auf die er offensichtlich zurückgreifen musste,
weil ihm die Zugangsmöglichkeiten zu professionellem Gerät fehlten. Der
angerichtete Schaden blieb deswegen weit unter den Erwartungen des
Täters.
- Rechtsextremismus stellt weiterhin eine der
größten Bedrohungen für unseren Staat und unsere Demokratie dar, die zu
bekämpfen eine der wichtigsten gesellschaftlichen Aufgaben ist.
Unabhängig davon, dass es sich um einen Einzeltäter handelte, der nicht
im Namen einer Gruppe oder Organisation handelte, und unabhängig davon,
ob eine psychische Störung vorlag, lassen die einschlägigen
Argumentationsmuster eine zweifelsfreie Einordnung von Tat und Täter in
den Phänomenbereich Rechtsextremismus zu. Es war eine
politisch-motivierte Tat. Daran gibt es nichts zu diskutieren.
- Das
derzeitige gesellschaftliche Engagement gegen Rechtsextremismus ist
offensichtlich wenig effektiv. Zumindest entsteht angesichts der
jüngsten rechtsextremen Morde nicht der Eindruck, dass die Gefahr in
irgendeiner Weise geringer geworden wäre. Es stellt sich daher die
Frage, ob es richtig ist, jedes Jahr Millionen aus Steuergeldern an
zivilgesellschaftliche, oftmals linksstehende, Initiativen zu überweisen
oder ob das Geld nicht besser koordiniert oder in zusätzliche
Schutzmaßnahmen investiert werden sollten. Es erscheint ferner fraglich,
ob die gesellschaftliche Strategie der totalen Ausgrenzung jeglicher
rechtsgerichteter Gruppierungen zu einer Mäßigung dieser oder nicht doch
zu einer Radikalisierung ihrer Mitglieder beiträgt.
- Seit
dem Terrorangriff von Halle bemühen sich namhafte Vertreter der
etablierten Parteien, der AfD eine Mitschuld für den Angriff zu geben –
z. B. Bundesinnenminister Horst Seehofer und Bayerns Innenminister
Joachim Herrmann (CSU), die AfD-Politiker nach dem Terrorangriff als
„geistige Brandstifter“ bezeichneten. Zwar hat sich die AfD nie zu einem
militanten Rechtsextremismus bekannt und sich nach dem Terrorangriff
auch in deutlicher Form von Täter und Tat distanziert. In der Theorie
wäre es dennoch möglich, dass die Partei indirekt oder ungewollt
Einfluss auf den Täter gehabt haben könnte. Dieser könnte sich etwa
durch die Wahlerfolge einer rechtsgerichteten AfD in seinem Weltbild
bestätigt gefühlt haben. Allerdings bliebe dann die Frage, warum er
ausgerechnet in einer Aufschwungphase der Partei zu solchen Mitteln
greift. Es wäre ferner möglich, dass nicht die Wahlerfolge, sondern die
gesellschaftliche Isolation der AfD und die daraus resultierende geringe
Aussicht auf Durchsetzung ihrer Interessen den Entschluss des Täters
forcierten. Dann wiederum wäre zu fragen, ob die AfD an dieser
Isolierung eine Mitverantwortung trägt (, was zu klären wäre). Das
Wichtigste aber: Wie genau kennen Horst Seehofer und alle, die seine
These unterstützen, die Psyche des Täters? Es ist nicht davon
auszugehen, dass sie beste Freunde waren. Es wurde auch nicht
kolportiert, dass der Täter in seinen ersten Aussagen irgendeinen Bezug
zur AfD genommen hätte. Daher sind die genannten Schuldzuweisungen
nichts weiter als billiger Populismus. Sie sind zudem moralisch
verwerflich, da sie den Anschlag zu politischen Zwecken
instrumentalisieren.
Das allerdings entlastet die AfD keineswegs von dem Vorwurf, zur Verrohung des politischen Klimas beigetragen und damit die Wahrscheinlichkeit rechtsextremer Angriffe erhöht zu haben. Maßgeblich für die Wahrnehmung der AfD ist eben nicht ihr Parteiprogramm, sondern die parteipolitische Praxis. Wie etwa soll der Umgang mit dem Landtagsabgeordneten Wolfgang Gedeon, dessen Schriften selbst vom AfD-Vorsitzenden Jörg Meuthen als antisemitisch bewertet wurden, von Außenstehenden gedeutet werden? Zwar läuft gegen Gedeon ein Parteiausschlussverfahren – das zweite mittlerweile – und die AfD kann mit Recht argumentieren, dass das deutsche Parteienrecht dem Ausschluss von Mitgliedern große Steine in den Weg legt. Der Unterschied zu den etablierten Parteien liegt jedoch darin, dass in diesen niemand auf die Idee kommen würde, sich mit einem solchen Mitglied zu solidarisieren oder gar auf einem Bundesparteitag gemeinsam mit ihm Anträge einzureichen (wie geschehen). Würde die AfD in Baden-Württemberg tatsächlich reinen Tisch machen wollen, müsste sie sich wahrscheinlich von ihrer halben Landtagsfraktion trennen. Da dies aber nicht geschieht, kann bei eingefleischten Antisemiten tatsächlich der Eindruck entstehen, die AfD toleriere ihre Positionen.
Foto: Pixabay/Hurk (Symbolbild)