„Traue keiner Statistik, die du nicht selbst gefälscht hast!“, lautet ein geflügeltes Wort. Auch wenn die darin zum Ausdruck kommende vollständige Ablehnung von statistischen Erhebungen übertrieben sein dürfte, sollte es für jeden Beobachter des politischen Geschehens selbstverständlich sein, mit Datensammlungen und deren Erfassungsgrundlage kritisch umzugehen.
Dies gilt auch für offizielle Statistiken. Die bekannteste und angesichts des herausragenden Wertes von persönlicher Sicherheit wohl wichtigste derartige Datengrundlage dürfte die Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) sein. Seit 1953 gibt die vom Bundeskriminalamt erstellte Zahlenaufbereitung jährlich eine Gesamtschau über die in Deutschland begangen Straftaten. Und vermutlich schon genauso lange hält die gesellschaftliche Diskussion darüber an, wie sicher bzw. unsicher die Bundesrepublik denn nun sei.
Auch wenn sich der PKS viele grundlegende Fakten und Trends entnehmen lassen, so kann sie trotz allem Bemühen kein vollumfängliches Bild über die Sicherheitslage in Deutschland geben. Denn es existieren eine Vielzahl von Schwachstellen, die auch nicht ohne Weiteres behoben werden können. Zudem ist die PKS, wie jede andere Statistik, nicht vor Rosinenpickerei und interessengeleiteter Interpretation gefeit. Die immer wieder zu hörende Aussage, dass die Kriminalität laut PKS zurückgehe und daher kein Grund zur Sorge bestehe, ist vor diesem Hintergrund äußerst kritisch zu betrachten.
Bei er Interpretation der Polizeilichen Kriminalitätsstatistik sollten insbesondere folgende Probleme berücksichtigt werden:
- Fehlende Erfassung: Eine Reihe an Gesetzesverstößen gehen gar nicht erst in die Statistik ein. Hierzu gehören Staatsschutzdelikte, Verkehrsdelikte, Finanz- und Steuerdelikte, Ordnungswidrigkeiten und Straftaten, die bei der Staatsanwaltschaft angezeigt werden.
- Fehlende Vergleichbarkeit: Allein in den letzten zehn Jahren gab es 245 Änderungen an den Richtlinien zur Führung der PKS. Auch wurden in der Vergangenheit diverse Straftatbestände gestrichen. So fielen 1969 etwa Ehebruch und homosexuelle Handlungen aus dem Strafgesetzbuch. Dass sich dies mindernd auf die Gesamtzahl der Straftaten auswirkt, liegt auf der Hand. Allerdings hat sich auch die Erhebungsgrundlage verändert, so dass die Statistiken nicht mehr miteinander vergleichbar sind.
- Fehlende Vollständigkeit: Es ist kein Geheimnis, dass der Polizei nicht alle begangenen Straftaten zur Kenntnis gelangen. Man spricht in diesem Zusammenhang vom Hellfeld der bekannten gewordenen Straftaten und dem Dunkelfeld der nicht bekannt gewordenen Straftaten. Wurden im Jahr 2018 in der PKS, und damit dem Hellfeld, rund 5,56 Millionen Straftaten erfasst, so geht man in der Forschung von einem Dunkelfeld zwischen 20 und 25 Millionen Straftaten aus. Besonders hoch ist das Dunkelfeld laut einer Studie des Landeskriminalamtes Niedersachsen bei Sexualstraftaten. Dieser zufolge wird nur eines von 25 Delikten angezeigt.
- Fehlende Verfolgung: Die Zahl der Straftaten lässt sich auch durch politische Entscheidungen beeinflussen. Dies betrifft vor allem die sogenannte Kontrollkriminalität, worunter insbesondere Drogendelikte fallen. Wenn die Polizei etwa bei einem Techno-Festival entsprechende Kontrollen durchführt, wird die Anzahl der erfassten Drogendelikte unweigerlich steigen. Verzichtet sie jedoch darauf, werden viele Straftaten nicht bekannt. Hierfür muss nicht einmal ein Vorsatz vorliegen – eine chronisch unterbesetzte Polizei wird naturgemäß weniger kontrollieren können als eine adäquate ausgestattete Polizei.
- Fehlendes Vertrauen: Wer nicht glaubt, dass der Staat etwas unternehmen kann oder will, wird zumeist auf eine Strafanzeige verzichten. Eine Aufklärungsquote von ganzen 6,4 Prozent bei Taschendiebstahl ermuntert zum Beispiel nicht besonders dazu, seine Zeit mit der Erstattung einer Strafanzeige auf der Polizeiwache zu verbringen. Weniger erfasste Straftaten durch weniger Anzeigen können also auch Ausweis von mehr Kriminalität und staatlicher Überforderung sein.
- Fehlende Aktualität: Die Polizeiliche Kriminalstatistik ist eine Ausgangsstatistik. Erfasst werden Straftaten erst, wenn die Ermittlungsergebnisse an die Staatsanwaltschaft übermittelt werden. Eine im Jahr 2019 begangene Straftat kann also nicht im zugehörigen Tatjahr auftauchen, weil die Ermittlungsergebnisse erst im darauf folgenden Jahr an die Staatsanwaltschaft übergeben wird.
Auch deliktsspezifisch lässt sich die Statistik aufhübschen. Ein Beispiel: Internet-Betrug, bei dem der Standort des Tätercomputers nicht bekannt ist, wird in der PKS nicht erfasst. Auch lässt sich die Wirkung der Statistik durch eine selektive Darstellung beeinflussen – etwa indem man auf die gesunkene Gesamtzahl an Straftaten verweist, während man einen Anstieg bei den Gewaltdelikten verschweigt. Wenn also demnächst einmal mehr im Brustston der Überzeugung postuliert wird „Deutschland wird immer sicherer“, darf man einwenden auch weiterhin einwenden: Nicht unbedingt.