AfD-Bundesvorsitzender Jörg Meuten legt sich mit seinen Äußerungen zum „Flügel“ seinen Fallschirm zurecht
Was geht eigentlich im Kopf vor Jörg Meuthen vor? Diese Frage musste sich in der vergangenen Woche jeder stellen, der die jüngsten Äußerungen des AfD-Bundesvorsitzenden vernahm. Meuthen hatte in einem Interview mit Tichys Einblick den rechtsgerichteten „Flügel“ seiner Partei als Klotz am Bein dargestellt, der ein Erstarken der rechtskonservativen Kräfte in Deutschland verhindere. Nach der vierten oder fünften Frage des Interviewers hatte er schließlich für einen „offenen parteiinternen Dialog“ darüber plädiert, ob der Flügel sich als Partei selbständig machen solle. Sein vorsichtiges Herantasten resultierte schließlich in der Überschrift „Meuthen plädiert für Trennung vom Flügel“.
Für einen Außenstehenden mag ein solcher Gedanke durchaus Sinn ergeben: Auf der einen Seite ein vom Verfassungsschutz überwachter nationalradikaler Flügel, der mit der LINKEN um Stimmen konkurriert, auf der anderen Seite ein sehr viel größeres Stimmenpotential von CDU-Wählern, die die AfD wegen ihrer rechtsradikalen Ausläufer nicht wählen. Warum also nicht getrennt marschieren? ABER wer sich jemals näher mit der AfD befasst hat, der weiß, dass Jörg Meuthen mit seiner Aussage gegen die wichtigste Maxime der Partei verstoßen hat, ihren wichtigsten Erfolgsfaktor und ihr sakorsanktes Mantra: die EINHEIT DER PARTEI. Wer gegen sie verstößt bekommt den Zorn der Partei zu spüren. Der „Flügel“ vergisst nicht. Meuthens Aussage, die er zunächst als lautes Nachdenken relativierte und nach ersten Protesten aus der Partei schließlich als Fehler zurücknahm, macht seine Wiederwahl als Bundesvorsitzender unwahrscheinlich (, wenn auch nicht unmöglich wie bei der AfD nichts unmöglich ist).
Das Treppenwitzige an der Geschichte ist, vor allem Meuthen trägt für die Transformation der AfD in ihren jetzigen Zustand die Verantwortung. Er realisierte schon 2016, dass u.a. mit Räpple und Gedeon völlig untragbare Figuren in die Landtagsfraktion Fraktion in Baden-Württemberg eingesickert waren. Aber statt eine Abspaltung nach rechts zu provozieren (, die im Sande verlaufen wäre wie Luckes LKR), stimmte Meuthen der Wiedervereinigung der Fraktion zu und flüchtete bei nächster Gelegenheit nach Brüssel. Es war Meuthen, der dem „Flügel“ unnötigerweise seine Aufwartung machte, indem er auf dem Kyffhäusertreffen eine Rede hielt, was bereits damals einen Affront für die moderaten Kräfte und eine Aufwertung Höckes darstellte. Und es war Meuthen, der den Austritt Petrys damit provozierte und eine weitere Schwächung der realpolitischen Kräfte in der Partei billigend in Kauf nahm.
Warum also dieser plötzliche Sinneswandel? Meuthen trat im Juli 2019 seine zweite Amtszeit im Europäischen Parlament an. Nach dieser Legislaturperiode wird er 63 Jahren alt sein und die verbleibende Zeit bis zu seiner Pensionierung leicht überbrücken können. Meuthen ist also finanziell unabhängig und macht sich langsam Gedanken darüber, wie er die Zeit nach der Politik verbringen kann. Sehr wahrscheinlich hat er keine Lust, sie in der totalen gesellschaftlichen Isolation zu verbringen, in die sich die AfD manövriert hat. Ein Vorstoß, wie nun getätigt, könnte zu einem späteren Zeitpunkt ein vermeintlicher Beleg für eine konsequent-bürgerliche Ausrichtung sein („Ich habe ja schon immer gegen den Flügel gekämpft“). Jörg Meuthen hat sich seinen Fallschirm bereitgelegt.