Über zehn Jahre verbrachte ich einen Großteil meiner Zeit damit, am Forschungsstand über linke Militanz zu arbeiten. Damit ist nun Schluss. Ich zitiere hier die Einleitung meines neuen und letzen Buches zu diesem Thema:
Schluss, aus, vorbei. Fast zehn Jahre lang arbeitete ich mich jeden Morgen durch linke Internetseiten, sammelte einmal die Woche Flugblätter im Viertel, ließ mich auf linken Demos beschimpfen, wühlte mich durch linke Archive und versuchte, eine Gesprächsbasis mit Wortführern und Organisatoren zu finden. Das war manchmal spannend, meist anstrengend und insgesamt ziemlich ernüchternd. Zwar gab es gelegentlich Anfragen zu Interviews und Vorträgen, aber echte Rückendeckung aus Politik und Gesellschaft habe ich nie erfahren – stattdessen Ablehnung, Ignoranz und Feindseligkeit. Deswegen ist es Zeit aufzuhören. Aber all die Arbeit, der Ärger und der Frust sollen nicht umsonst gewesen sein. Und so bringe ich noch einmal alles zu Papier, was Sie über die militante Linke wissen sollten:
Über wen?
Die militante Linke ist die große Unbekannte im politischen System. Sie ist der Teil der Linken, der die Rechtsordnung nicht anerkennt und zur Durchsetzung ihrer Ziele auch vor Steinwürfenund Brandanschlägen nicht zurückschreckt. Im Grunde kann niemand bestreiten, dass die Gewalttaten, Sachbeschädigungen und Anschläge einen gravierenden Einfluss auf die politische Willensbildung in unserem Land haben. Aber wer sich über das Thema informieren möchte, findet in den Bibliotheken so gut wie nichts: Der Forschungsstand ist desolat; die hochbezahlten Professoren unserer Universitäten haben bis auf wenige Ausnahmen versagt und ihre Aufgabe den Staats- und Verfassungsschutzbehörden überlassen.
Deshalb dieses Buch. Es beruht auf der Annahme, dass meine Erfahrungen aus der Arbeit über die Hamburger linke Szene verallgemeinerbar sind. Denn das Schanzenviertel und die benachbarten Straßenzüge haben in vielerlei Hinsicht Modellcharakter – aber dazu später mehr. Der Text zeigt, wie linke Szenen aufgebaut sind, wie sie arbeiten und kommunizieren. Er bietet Ansätze, die Szenen zu erforschen, sie zu verstehen und ihre Wirkmacht zu begrenzen. Er ist subjektiv und hat nicht den Anspruch, endgültige Wahrheiten zu vermitteln. Er gibt Anregungen und stellt eine Diskussionsgrundlage dar. Denn würde mehr über die militante Linke gesprochen, wäre schon viel gewonnen!
Falls Sie gerade in einer Buchhandlung stehen und überlegen, dieses Buch zu kaufen, sollten Sie wissen: Ich war nie Teil einer linken Szene, weder als Mitläufer noch als Agent irgendeiner Behörde und schon gar nicht als getarnter Günter-Wallraff-Moralermittler mit Perücke und falschem Bart. Für dieses Buch wurde niemand ausspioniert, und trotzdem habe ich mein Wissen nicht vom heimischen Sofa aus erarbeitet. Ich war dort, wo die linke Szene ist. Ich habe sie beobachtet, ihre Texte gelesen, ihre Veranstaltungen besucht, mit Aktivisten gesprochen und manchmal einen veganen „Chai-Latte“ mit ihnen getrunken. Einen Großteil der Informationen habe ich durch persönliche und vertrauliche Gespräche gewonnen. Dabei habe ich nichts verheimlicht. Wer mich gefragt hat, dem habe ich gesagt, was ich tue und warum.
Dies ist keine Hetzschrift. Es geht nicht darum, alte Rechnungen zu begleichen. Ich will eine sachliche Darstellung der militanten Linken und, wo nötig, auch Missverständnisse zu ihren Gunsten ausräumen. Mir ist wichtig, zwischen demokratischer und antidemokratischer linker Politik zu unterscheiden. Ich will im Gegenzug nichts schönreden und keine Sympathien für Gegner der Demokratie wecken. Wenn Sie meinen, Kommunismus wäre an sich eine gute Sache und Gewalt in manchen Fällen legitim, dann sparen Sie sich Ihr Geld lieber für eine Therapie!
Es liegt mir fern, andere Facetten der Menschenfeindlichkeit zu verharmlosen. Antisemitismus, Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Islamismus stellen tödliche Bedrohungen dar, und es freut mich sehr, wie viele Menschen sich dagegen engagieren. Dies gilt insbesondere nach den furchtbaren rechtsmotivierten Anschlägen der Jahre 2019 und 2020. Jedoch darf dies keinGrund sein, linke Gewalt zu verharmlosen. Es muss möglich sein, auch sie zu thematisieren, ohne dafür als „Verharmloser“ oder als „Pseudowissenschaftler“ beschimpft oder in die rechte Ecke gestellt zu werden.
Diejenigen, um die es geht, werden dieses Buch nicht mögen. Sie werden versuchen, mich ins Lächerliche zu ziehen, mich einzuschüchtern, meine wissenschaftliche Reputation hinterfragen und immer wieder betonen, ich hätte schlichtweg keine Ahnung. Die militante Linke maßt sich an zu bestimmen, wer ein Wissenschaftler ist und wer nicht. Machen wir es uns leicht: Betrachten wir dieses Buch als Streitschrift und nicht als wissenschaftliche Analyse. Jeder, der Teil einer militanten Szene ist, weiß mehr über sie als ein Außenstehender. Aber da Angehörige dieser Szenen keine kritischen Texte über sich veröffentlichen, mache ich mir um den Informationsgewinn beim Lesen dieses Buches keine Sorgen.