In seinem Buch „Nicht nichts machen“ will der Esslinger Politikwissenschaftler Nils Schuhmacher Binnenperspektive und Selbstverortung der Antifa untersuchen. Eine Rezension.
„Die Antifa“ stellt ohne Zweifel einen erheblichen Faktor im politischen System der Bundesrepublik dar. Mehrere Hundert Anschläge pro Jahr auf politische Gegner sprechen eine deutliche Sprache. Umso bedauerlicher, dass die Sozialwissenschaften das Thema in den vergangenen dreißig Jahren sträflich vernachlässigt haben. Anfang 2014 unternahm die Politologin Bettina Blank den Versuch einer Gesamtbetrachtung. Aber als aktive Verfassungsschutzmitarbeiterin konnte sie die Außenperspektive nicht überwinden und legte zudem den Fokus auf Parteien. Mit der Binnenperspektive und der Selbstverortung der informellen Antifa befasst sich nun die Arbeit des Esslinger Sozialwissenschaftlers Nils Schuhmacher.
Der Autor tastet sich nüchtern an den Gegenstand heran. Keine solidarischen Stellungnahmen. Keine moralisierenden Wertungen (so, wie man es von einer wissenschaftlichen Arbeit erwarten könnte, in der Realität aber selten der Fall ist). Im Gegenzug stellt die Arbeit sehr auf die Demonstration wissenschaftlicher Methoden ab und weniger auf Kritik und Prävention. Der Versuch, die komplexe Antifa-Realität in wissenschaftliche Schablonen zu pressen, freut Professoren, die sich ebendiese ausgedacht haben – der Gesellschaft bringt dies leider nichts. Auch der Schreibstil ist stellenweise wissenschaftlich-kompliziert, weshalb das Buch für den Durchschnittsleser kaum attraktiv sein dürfte.
Die Defizite, die der Autor bei bisherigen Einschätzungen der Sozialstruktur der Antifa anmahnt, gelten auch für seine eigene Arbeit. So ist seine Basis von 20 Interviewpartnern aus Antifa-Gruppen zwar interessant, aber weder repräsentativ noch überprüfbar. Darüber hinaus bleibt die Frage: Hat der harte Kern der Antifa überhaupt ein Interesse, Informationen für eine wissenschaftliche Arbeit Preis zu geben? Handelt es sich daher bei den Interviewpartner um gemäßigte Aktivisten und daher eine verzerrte Basis? Die Interviews sind leider nicht im Volltext abgedruckt, sondern lediglich ausgewählte Textstellen, die in den Textfluss des Autors passen. Dabei wäre gerade der ungekürzte Wortlaut interessant.
Letztlich bleibt zu bemängeln, dass die zentrale Fragestellung langweilig ist. Statt der angekündigten „umfassende[n] Exploration des informellen Teilbereichs des Antifa-Spektrums“ erforscht der Autor, wie Motivation und Vorstellungen in Antifa-Gruppen entstehen und ob die Aktivisten ihren selbstgesteckten Ansprüchen gerecht werden. Zwar geht der Politikwissenschaftler mehrfach auf die Gewaltfrage ein und stellt etwa eine Doppelmoral von „eigentlicher“ Ablehnung und faktischer Befürwortung von Gewalt fest. Jedoch bringen ihn seine Folgerungen nicht zu den dringenden gesellschaftlichen Fragen: Welchen Einfluss hat die Antifa mit militanten Methoden auf die Meinungsfreiheit und das politische System? Welches Gefahrenpotential geht von ihr aus? Was bewirkt die Antifa bei den Opfern ihrer Übergriffe?
Stattdessen gelangt Schuhmacher zu der wenig überraschenden Erkenntnis, dass es „die“ Antifa nicht gibt und dass es sich um ein stark fragmentiertes Akteursfeld handelt. Im Ergebnis handelt es sich bei „Nicht nichts machen“ um eine durchaus überdurchschnittliche Doktorarbeit, deren Erkenntnisse die Gesellschaft allerdings nicht weiter bringen.
Schuhmacher, Nils (2014): „Nicht nichts machen“ – Selbstdarstellung politischen Handelns in der Autonomen Antifa. Duisburg: Salon Alter Hammer – Verlag für Ton und Text. 19,90 EUR.